Gottloses Halli-Galli im Wilden Osten. Mit Heisenbergs Kochkiste auf der gemischten Seenplatte

Manchmal hilft die beste Planung nichts, wenn das Jahr gegen einen ist. Die geplante Schwedenwanderfahrt auf dem Dalslandkanalsystem fand in Mecklenburg statt, da die Schleusen in Schweden an unserem ersten Rudertag geschlossen haben. Merke: Da ist dann Herbst.

 

Da Mecklenburg und Vorpommern in Teilen (z.B. nördlich der Peene, sowie Poel) von 1648 bis offiziell 1903 schwedisch waren (wie jeder weiß, der sich mit dem 30jährigen- und dem nordischen Krieg befasst hat) waren wir also quasi in Südschweden und damit musste dann das Selbstmitleid auch enden.

 

Los ging es wie immer: Gespann beladen: diesmal mit Mopple, Gallia, Glarus und Mathilda als Reserve. Dann 650km nach Nordosten nach Plau am See über die Autobahn jagen und dann den ersten Campingplatz beziehen. Dort hatte man eine bestimmte Vorstellung von Ordnung, die wir umgehend umdekorierten. Sei es, dass wir mit dem Hänger ans Wasser mussten, oder die sackschweren, nicht zum Herumtragen gedachten Gruppenbänke uns gefügig machten. Dennoch wurde nur wenig gemault und große Teile der Bewohner sahen uns dabei zu, wie wir am nächsten Tag unsere erste Etappe begannen…und zwar damit, dass der Fahrtenleiter beim Einsteigen Handy und Portmoneie über Bord warf. Die Tauchaktion verzögerte die Abreise um 30 Minuten. Zudem erwies sich die Navigation mit dem DDR-Kartenmaterial als tricky. Auch wenn die Wasserwanderkarten von Jübermann neu aufgelegt wurden, gibt es immer noch die alten Fehler, da die DDR-Führung wohl nicht wollte, dass Wasserwanderer zu genau wissen sollten, wo sie waren. Daraus entwickelte sich die Schreibersche-Unschärfe-Konstante, die besagt, dass die 27 Kilometer der ersten Etappe letztendlich 42km waren. Zum Glück brachte der Landdienst Radler und Bier, so dass nach mehreren Badepausen die letzten 15km von Waren bis ans Westufer der Müritz bei Nitschow angegangen werden konnte.

 

Dort bezogen wir den „Naturcamping“ und konnten erfreut feststellen, dass es kein FKK-Platz war. Auch bei relativer Freizügigkeit unter Ruderern – FKK war uns allen eine Nummer zu steil, was auch am Altersgemenge der Gruppe und dem sportlichen und schulischen Beziehungsgeflecht liegen mag. Da der Campingwart explizit um kein „Halli-Galli“ gebeten hatte, begnügten wir uns mit Ramba-Zamba.

 

Abends wurde die Theorie von Schrödingers Kochkiste entwickelt, denn man weiß nie, in welchem Zustand die Sachen gerade sind. …. Das Öl hatte sich beispielsweise ohne seinen Deckel aus der Flasche entfernt und war einer Verbindung mit den Teebeuteln eingegangen, die ihrerseits ebenfalls ausgerissen waren.

 

Für den nächsten Tag stand die Querung der Müritz an. Die Müritz hat bekanntlich ihr eigenes Wetter, was daran liegt, dass es sich um eine riesige flache Wasserfläche handelt. Auf Höhe des Bolter Kanals kreuzten wir und fuhren dann gegen den auffrischenden Wind. In Mopple mussten dabei blitzschnell die Ladung neu verstaut werden: Thilo und Darius ins Mittelschiff, denn der Bug hing zu tief. Nach nicht allzu trockener Fahrt am Ostufer sicherten wir uns den Surfer-Camping (die unsere Reservierung verbummelt hatten). Nebenbei versuchten wir Solarenergie zu farmen. Merke: Serienschaltung bei Panels unterschiedlicher Leistung hat den unerwünschten Effekt, dass eines dann kaputt ist.

 

Was haben wir noch gelernt: Hornissen sind Freunde, sie fressen Wespen – Leider keine Mücken. Und die Nicht-Doppelkopf-Spieler erfreuten sich auf einer bizarr niveaulosen Ebene über den Fachbegriff des „Stillen Solos“.

 

Deine Modder. Von der Müritz aus ging es dann über den Bolter Kanal in das Herz des Elbenwaldes. Leider war die Umtragestelle von metertiefem Modder unterfüttert, was zuerst Karl merkte, der beherzt hineinsprang. Das Umtragen selbst verlief fast problemlos, allerdings hatte das NVA-Landungsfahrzeug, welches sein zweites Leben als Bootswagen fristet für den Roll- und Treppenweg einen zu engen Radstand, das konnte nicht funktionieren. Vom Herz des Elbenwaldes fuhren wir gen Süden, wobei die Zahl der Nackpaddler stetig zunahm. Am Naturcamping Zotzensee bezogen wir unser Lager: baden, kochen, chillen: die Fahrt nahm Fahrt auf. Jetzt mit der eigens mitgeführten Gitarre. Um die Nazifamilie aus dem Piratenwohnmobil zu ärgern gab es besonders viel „Bella ciao“, da die Griffe der meisten Ärztelieder zu komplex sind. Ok, „Stummer Schrei nach Liebe“ soll halt nicht jeder nachklampfen können, wohin kämen wir da?

 

Am folgenden Morgen musste Niels uns leider verlassen, da es seiner Freundin daheim nicht gut ging. Da ich Landdienst hatte, war ich dann erst im Bus und danach im Wald ganz allein, da mich Google in Wald gelockt hat und dann Netz und Internet weg waren….bis dann ein Schild „Land Brandenburg“ verkündete, dass die Sandpiste, die als Straße galt, doch ein Ziel hatte. Mit Hilfe von Ureinwohnern fand ich dann den Weg zurück zum Pälitzsee. Das Lager dort wurde gekrönt von der Leistung des Kochteams „Fresskoma“: Nackensteak und Rosmarinkartoffeln mit buntem Salat. Da meine Reise durch den Wald sehr hungrig gemacht hatte, hatten wir Nackensteaks für drei Tage. Aber die gingen schon weg.

 

Nachdem wir beim Frühstück erfolglos versucht hatten Juri gegen einen flauschigeren Hund zu tauschen, fuhren wir Richtung Neustrelitz. Bei etwa 30 Grad war dies eine legendäre Sommeretappe. Seen, leichter Wind, Baden, Schwimmen, Springen, Gummitiere und Schwimmnudeln rundeten das Erlebnis ab. Und 35 km waren es dann doch. Zwischendurch waschbärte man mal immer wieder ein Steak aus der Fresskiste und krabbelte zurück zum Dösen aufs Sonnendeck.

 

Was in Neustrelitz passiert bleibt in Neustrelitz. Daher hier nur die wissenschaftlichen Fakten. Es wurde festgestellt, dass: ∆Px∆x≥H(liegend):4Pi…..sagt Juri: In Heisenbergs Kochkiste weiß man nie wo, und wie schnell die Sachen gerade sind. Und damit war allen klar: es kann nicht Schrödingers Kochkiste sein.

 

Das Umtragen per Hänger an den Kummerower See verlief problemlos. Dort bastelten wir Abdeckungen für Moppel (alle anderen Boote haben welche) und bekamen vom Team „Restepfännchen“ das mit Abstand schlechteste Abendessen der Fahrt: Gnocci mit Kochschinken und Schmelzkäse. Ein Löffel davon hatte ungefähr die Dichte von Plutonium und machte auch so satt. Lembasbrot ist Schnullikram dagegen.

 

Bei steifer Brise und Schaumkronen konnten wir das erste Mal richtig unsere Abdeckungen, Pumpen und Schöpfgeräte testen. Die Welle reiten ist lustig, aber wenn sie einen einholt gibt’s nasse Füße. Nachdem wir den Eingang der Peene im Schilf (wo auch sonst) gefunden hatten, begannen 100km Moorfluss, der als eines naturbelassensten Gewässer Deutschlands gilt. Als Grenzfluss beim Wiener Kongress 1815 festgelegt, hielten wir uns am linken um Ufer, um mehr in Schweden zu sein. In Demmin stiegen wir beim Segelclub ab. Neben uns drei nette, aber leicht angesäuselte Jungs, die mit ihren drei Gummibooten „Biest“, „Bob“ und „Angela Merkel“ unterwegs waren. Bei nahendem Vollmond bot sich Werwolf an, welcher dann auch in großer Runde stattfand. Auf der Strecke Richtung Jarmen gab es bei der Rast im Dorfladen im Sophienhof dann 16 Matjesbrötchen zur nötigen Stärkung, denn bis auf die fehlenden Zombies glich die Peene den Moorbrücker Sümpfen aus Drakensang, das lag auch daran, dass ab Demmin der Herbst ausgebrochen war. Temperaturen im Keller, diesig und braun lag dieses Sumpfland um uns herum, und so wundert es keinen, dass wir nach der Übernachtung in Gützkow nach Anklam kamen, welches die höchste Neonazidichte Deutschlands haben soll. Nun, es liegt an Flusskilometer 88, den wir tatsächlich nur ganz leise gegrüßt haben, aber so fügt sich einiges zusammen. Die AfD fühlte sich dort jedenfalls bemüßigt zum Schulanfang biodeutschen Kindern auf Plakaten zu gratulieren.

 

Good´ntasty zauberte uns Bratkartoffeln mit Rührei. Drei Runden Werwolf, danach wurden die Schnarcher in die Bootshalle outgesourct und das ganze Dorf schlief ein. Am letzten Rudertag hatten wir in dem braunen Sumpf immerhin Seeadler, wobei der Germanist findet, dass hier jetzt eine Überfrachtung an Symbolik vorliegt. Fehlt nur noch Blondie, aber die war ja mit den Nazicampern am Zotzensee.

 

Ziel: Wolgast. 10km Peene, dann links ab Richtung Achterwasser auf den Peenestrom zwischen Usedom und Festland. Leider schlug das Wetter auf dem Bodden um. Erst Regen, dass wir pumpen mussten, dann auch noch Wind, dass die Abdeckungen nicht umsonst gebaut waren. Dazu kamen ein paar mehr Kilometer , da wir wegen der Reusen nicht am Ufer fahren konnten. In Laasahn enterten wir den Strand. Dann waschbärten wir alle Vorräte und bildeten gegen den Nordwind eine Pinguingruppe, denn das Landteam zur Abbholung stand laaaaange an der hochgeklappten Brücke in Wolgast. Die Nassesten wurden auch zum Teil gegen ihren erklärten Willen direkt mit dem Bus vorgeschickt: Duschen, Zelte aufbauen! Der Rest riggerte ab und verlud die Boote und teilte sich dann im Windschatten einiger Betonklötze die letzten Bierchen, während wir auf den Bus warteten und der Wind in den Wanten der Segler pfiff.

 

Die Duschen in Wolgast wirkten Wunder. Wieder hergestellt wanderten wir zum Griechen und aßen die Speisekarte rauf und runter. Die völlig begeisterte Wirtin stellte ständig Ouzo für aufs Haus vor uns hin, und zwar für alle, den wir im Hinblick auf die Jugendlich neu verteilen mussten, was zu unverhältnismäßig hohem Ouzo-Genuss seitens einiger Erwachsener führte, denn auch die Fahrer schoben ihren Schnaps weg. Am späteren Abend traf ich dann Stefan den Vorsitzenden, zwecks Bezahlung und wir klönschnackten noch einige Zeit, denn er war 14 Jahre Bürgermeister von Wolgast gewesen, managt jetzt den Ruderklub, schwärmt von der Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendarbeit generell…..

 

Der Rest ist schnell erzählt: 6:30 wecken mit dem Körperzellenrock, 7:45 Abfahrt. Fleischbrötchen to go in Kassel, ansonsten flacher Flug mit 105kmh. Einschlag in Biebrich um 20 Uhr ohne nennenswerten Stau. 850km sind halt ein Ritt. Vielleicht doch ganz gut, dass wir nicht in Schweden waren.

 

Fazit: Großartige Sommertour im Wilden Osten mit bizarren Begegnungen und vielen neuen Erkenntnissen. Zur Nachahmung empfohlen.

 

Fakten:

 

Strecke: 233km Plau-Nitschow-Boek-Preetz-Pelzholt-Neustrelitz-Somersdorf-Demmin-Gützkow-Anklam-Wolgast. (Mecklenburger Seenplatte, Peene und Usedomer Gewässer)

 

Boote: Mopple the Whale: Empacher D4x+ „Der weiche Wanderer“, löst sich auf. Großes Abschiedsgrillen mit Spendenaufruf geplant. Gallia: BBG 3x+ „Pfeilschnell teilt ihr steiler Bug die geile geifernde See“. Glarus: Baumgarten 4x+ Macht ihren Dienst, vermutlich das beste der drei Boote, aber bisher ohne legendäre Eigenschaften.

 

Team: Dirk™ aka Chaosbezwinger, Karl aka Das quält Menschen, Niels aka Der duschende Wiedergänger, Darius aka alestorm, Jan aka Der Assimilierte, Caro aka The Quirl , Ina aka Gamblegirl, Klara, aka most wanted, Emil aka Proteinjunkie, Thilo aka Stilles Solo Serienschaltung, Sophie aka, Nudelsolo, Pauline aka, Wo bin ich hier nur?, Lars aka „Ich ruder´ jetzt mal volle Kraft“ , Juri, der Flauschige, Eleni the Puschelbommel, Nikita aka Digital Detox.

Bericht original verzapft und verkorkst von Dirk™, direkt nach der Fahrt. 31.8.23 1:23